An Tamara Danz
im Paradies



1. Juli 2016, im Ostbrandenburgischen
nahe Deiner letzten Ruhestätte


Liebe Tamara,

ich bin´s, Dein Freund und Mitbewohner Wolfram vom Gendarmenmarkt, der Dir heute einen Brief in Dein Asyl im Paradies schreibt, Worte des Gedenkens und der Erinnerung, Dir aber auch mitteilen möchte, was sich seit dem 22. Juli 1996 zugetragen hat …

Ich vergesse es nicht, das Jahr was Dir noch blieb, nachdem ich die fürchterliche Erkrankung sah und Dich und Uwe zum „Abschied für Immer“ begleitet habe – ein schweres Jahr.

Ich sehe Dich 1995 in meinem Untersuchungszimmer sitzen und quäle mir die Wahrheit über Deinen Tumor ab. Das Bild werde ich nie mehr los – die schöne Tamara, die Rock-Lady des Ostens: umjubelt, begehrt und beneidet von so vielen Verehrerinnen und Verehrern. Wir sitzen nebeneinander auf der Untersuchungsliege, mein Arm um Deine Schulter, Du ganz plötzlich so zerstört, abgestürzt, so allein …

Dann die Monate der quälenden Hoffnungen, die schreckliche Gewissheit: Das Ende naht, jeden Tag deutlicher werdend.

Ich habe keines unserer Gespräche in Deinem Zimmer am Gendarmenmarkt zwei Treppen tiefer unter meiner Wohnung vergessen. Du sterbenskrank, die schöne „Blume“, jeden Tag ein wenig mehr verwelkt. Ich depressiv, in der Krise: Die schrecklichen Erfahrungen mit unheilbaren Patienten: Wie sage ich es ihnen? Die so veränderten Verhältnisse im Ostteil der Stadt, in der Charité, der Frust in der Mitte des Berufslebens …

Alexander Osang hat in seinem Buch „Tamara Danz – Legenden“ das kleine Kapitel über uns „Kranke Nachbarn“ genannt.

Die letzten Monate der Gespräche, ja fast Andachten mit Dir über all das Elend, das Dir und Deinen Freunden widerfahren ist. Deine immer mehr Kontur annehmenden Zeichen des körperlichen Verfalls, die gesellschaftlichen Veränderungen, auch die Einschränkungen für die Schwachen und Verlierer dieser Welt.
Meine sich durch das tägliche Elend aufgestaute Krise, ein berufliches Miteinander – das „team“ genannt – oft ein Gegeneinander ist, das Unabänderliche Deines nahen Endes …

Du hast vor meiner Untersuchung, unwissend, was ich Dir in wenigen Wochen mitteilen werde und doch mit einer Ahnung des Kommenden – die Texte für eine neue CD geschrieben – auch diesen, den Text für das „Asyl im Paradies“.
Da war sie eingetreten, die Katastrophe, die Dich und uns – all Deine Freunde – so betroffen und nahezu sprachlos gemacht hat.
Und dann, nachdem Du Dein Schicksal und die Krebserkrankung angenommen hattest, die tiefen Einsichten; das Erkennen, was wirklich zählt – na, Du weißt schon!

Wir hatten zu dieser Zeit einen „Überlebensplan“ aufgestellt, der wenig mit Deinem realen Überleben zu tun hatte. Meine Aufforderung an Dich war ein Text für ein Lied. Mit Deinen neuen Erfahrungen das aufzuschreiben, was Du zum Mut machen den vielen Leidensgefährten mitteilen solltest – auch und gerade für all jene mit schweren Schicksalsschlägen, unheilbaren Erkrankungen und für die aus der Gesellschaft Ausgestoßenen. Du hattest es mir versprochen – allein die Zeit zur Verwirklichung war nicht mehr vorhanden.
Ich hatte Dir bei einem der gegenseitigen „Mach-Mut-Gespräche“ mitgeteilt, dass ich etwas Neues anfangen muss, um selbst den Weg heraus aus den Depressionen zu finden.
Ich habe mich in Deinen letzten sechs Monaten einem Vorhaben gewidmet, das mir half, dieses Tal des Verzweifelns und der Mutlosigkeit hinter mich zu bringen. Durch die Beschäftigung mit den Grundlagen der Anwendung eines Kontrastmittels in der Ultraschalldiagnostik habe ich diese Methode in Deinem letzten Frühling in die klinische Routinediagnostik einführen können.
Mit diesem Verfahren untersuche ich seither hautsächlich Patienten mit Tumoren an der Leber, den Gallenwegen und an der Bauchspeicheldrüse.
Der „Unheilsentdecker“ und sein Verkünder zu sein ist nicht einfacher geworden. Es besteht aber eine bessere Voraussetzung dafür, bösartige Neubildungen in einem Stadium zu entdecken, in dem durch ärztliches Handeln noch Heilung möglich wird.
Trotz aller Euphorie der Erfolge einer „modernen Medizin“, haben Dein Schicksal und unsere Gespräche etwas hinterlassen: Ich habe es gelernt, Arzt und Begleiter eines Menschen zu sein, dem ich aufgrund meiner Untersuchung zwar vermitteln muss, dass er sich nun in der Situation befindet, etwas Unabänderliches annehmen zu müssen, ich aber weiterhin Arzt und Ratgeber bleiben kann und werde und ihm helfe, das Schicksal schmerzfrei und mit Zuwendung zu ertragen.
Dieser Grundsatz ist das wichtigste Motiv, mich noch ärztlich zu betätigen.

Fünf Jahre nach Deinem Eintritt in das Asyl im Paradies habe ich das Haus am Gendarmenmarkt verlassen.
Du siehst es ja von da oben, nun fahre ich jeden Tag ganz dicht am kleinen Dorffriedhof vorbei, wo Du und Deine Mutter ihre letzte Ruhestätte gefunden haben – vier Kilometer Luftlinie entfernt von meinem Wohnsitz im Wald.
Wenn ich auf dem Weg in die Charité zwischen den Feldern hinter einer kleinen Anhöhe den alten Kirchturm mit den umgebenden Grabstellen sehe, nenne ich Dich beim Namen, grüße Dich und erinnere daran, wieder auf dem Wege dorthin zu sein, wo mir Dein Leid und Schicksal so spürbar nahe geworden sind. Die Erinnerung ist da, die Wehmut wechselt; sie ist anders geworden.
In meinem Untersuchungszimmer in der Charité ist der Raum ausgefüllt mit Angst einflößender Technik, Computern und einer Liege. Unmittelbar daneben befindet sich die Wand, von der Du meine Patienten durch Jim Raketes Fotographie anlächelst. Daneben sein Foto von Dir und Deiner Band; zusätzlich Dein Strohhut, den mir Uwe als Erinnerung geschenkt hat. Schließlich die ebenfalls dort hängende CD „Asyl im Paradies“ mit Deiner Widmung für mich.

Ahnst Du, wie viele der Patienten, die sich auf die Untersuchungsliege legen müssen, diese Bilder mustern und ausrufen „das ist doch Tamara!“?
Manche erzählen mir aus „unserem“ Kapitel des Buches von Alexander Osang, oder sie fragen, ob es wirklich so war mit Dir, der „größten Rock-Lady der DDR“ – Du bist auch heute noch ein Vorbild und Idol, und nicht nur für die „OST-Bräute“!

Es befindet sich eine weitere Fotographie auf der gegenüberliegenden Wand des Sonographie-Raumes in der Charité: Anna Loos, Uwe, Ritchie, Jäcki und ich – Arm in Arm.
Das entstand im Januar 2014 im St. Burchardi- Kloster in Halberstadt. In der dazugehörigen John-Cage-Stiftung ist an diesem Tage eine Erinnerungsplakette an Dich befestigt worden.
Mir wurde dort der „Walter Krienitz-Preis“ für mein Lebenswerk übergeben. Zum Ende dieser Veranstaltung haben Anna Loos und Deine „Jungs“ überraschend den Saal betreten und mir zu Ehren musiziert und gesungen – als erstes „Asyl im Paradies“ zum besonderen Gedenken an Dich und dann einige der Lieder von und mit Anna, die Dir eine herausragende Nachfolgerin geworden ist und dazu beiträgt, das man auch an eine Zukunft denken darf und muss.
Nie habe ich mich in einer öffentlichen Veranstaltung so gefreut, wie bei diesem „Ständchen“ – den Tränen der Freude und Erinnerung war freier Lauf gewährt.

Ja, liebe Tamara, jetzt 20 Jahre älter, gehe ich im wahrsten Sinne des Wortes am Stock – Du würdest lächeln und nun zu recht „Eh, Alter!“ rufen. „For ever young“ ist nicht, für immer in tiefer Freundschaft und Verbundenheit allemal.
Etwas ist mir wie vor zwanzig Jahren geblieben – höre ich Deine Lieder oder sehe ich Dein Bild, sind wir uns sofort sehr nah.

Deine Freundinnen/Freunde und ich – wir werden Dir folgen ... und dann singst Du uns das Lied mit dem Text, dass Du mir schuldig geblieben bist – für alle Verzagten, Hoffnungslosen, Kranken, Sterbenden und besonders für die, die das Wort DEMUT noch kennen und trotz eines Damoklesschwertes über dem Kopf weiter aufrecht gehen, wenngleich sie – dem letzten Atemzug nahe – vielleicht kaum noch liegen können.

Morgen früh, wenn ich wieder durch die jetzt fast reifen Kornfelder fahre – wo schillernde Fasane am Wegrand stehen – und ich Deinen kleinen Kirchhof sehe, rufe ich Dir zu: „Hallo Tamara, da bin ich wieder auf meinem Weg zum Elend in die Charité“.

Es gedenkt Deiner in dankbarer Erinnerung und grüßt Dich von Herzen

Dein Freund Wolfram.
Silly und WW im St. Burchardi-Kloster Halberstadt
Berlin, 20. Juli 2016


Liebe Tamara,

als ich fast noch ein Kind war, sah ich Dich zum ersten Mal mit Deiner Band Silly auf der Bühne. Das Konzert war für mich nicht nur ein musikalisches Erlebnis der besonderen Art. Es änderte in gewisser Weise mein Leben, meine Einstellung und auch meine Bereitschaft für das, was ich für richtig halte, einzustehen.

Du standest dort auf der Bühne mit Deinen Jungs, Deine Haare waren wild, Dein Outfit schrill und obwohl Du wenig gelacht hast und recht kühl wirktest, faszinierte mich Deine revolutionäre, unverbogene und starke Erscheinung. Ich glaube, dass jeder in Dir damals etwas anderes sah, aber jeder sah etwas in Dir und das ist eine Gabe.

Für mich warst Du die Frau, die versteht, was ich denke und wie ich mich fühle, die Frau die Ihr Land liebt, aber auch kritisiert, die mit dem Herz sieht, sich nicht verbiegen lässt und Ihren Weg geht, ohne Kompromisse zu machen. Für mich warst Du nie Übermensch oder fehlerloses Denkmal, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut der selbstkritisch auch aus Fehlern lernen konnte.

Deine Stimme hat mich durch meine Jugend begleitet und Du warst, ohne es zu wissen, für mich und für viele andere eine wichtige Bezugsperson.

Ich glaube, die mir am meisten gestellte Frage ist:

„Ist es nicht schwer, in die Fußstapfen der großen Tamara Danz zu treten?“

Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich hasse diese Frage! Mindestens genauso, wie ich den Moment gehasst habe, als ich hörte, dass Du gestorben bist. Tamara Danz ist tot, Ihrem Krebsleiden erlegen. Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen, denn Ihr wart mein großes Stück Heimat und mein riesiges Stück Identifikation.

Dein Tod machte mir Angst, Angst, dass etwas Großes und Besonderes nicht überleben wird. Die vielen kleinen Dinge, die mein Leben im Osten so schön gemacht haben, die für mich elementar wichtig waren und mich auch zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Werden Sie verloren gehen, sind Sie in unserer heutigen Welt noch wichtig?

Nein, sie gehen nicht verloren. Und ja, sie sind auch heute noch wichtig und sie sind in uns.

Ich habe viele Jahre nach Deinem Tod Deine Jungs getroffen, Uwe, Ritchie und Jäcki. Heute nach zehn Jahren kann ich Dir sagen, sie sind auch zu meinen Jungs geworden. Silly lebt und ich weiß, dass Dich das glücklich macht.

Wir kämpfen jeden Tag für die Band, die Familie, das Projekt unseres Lebens. Das System, in dem wir leben, hat sich verändert. Die Probleme bleiben, auch wenn es heute andere sind. Ja, wir leiden immer noch unter einer Zensur, der Zensur des Geldes, des Kommerzes. Es ist eigentlich ein bisschen wie früher, wir lernen jeden Tag dazu und wir lernen vor allem, keine Kompromisse zu machen. Wir versuchen genau hinzuschauen und unsere Finger in die Wunden zu legen.

Es ist nicht immer leicht, aber wir bleiben dran.

Du warst schon vom ersten Tag an da und Du wirst immer mit uns sein. Ich danke Dir für die Ideen, die Du in meinem Kopf zum Leben erweckt hast mit Deiner Musik und Deinem Geist.

Du hast mir ein wunderbares Erbe hinterlassen und ich werde für Deine und meine Band kämpfen.

Ich lebe nicht in der Vergangenheit, aber die Vergangenheit hat mich geprägt.

Ich bedauere die ewig Gestrigen um die Angst, den Schmerz und die Risse, die Sie in sich tragen und liebe und lebe mein Leben, mit Silly und mit Dir.

So schmerzlich das auch manchmal ist, das Leben ist Veränderung und jede Veränderung ist auch eine Chance.


Danke, Deine Anna