„Gib mir Asyl
hier im Paradies,
hier kann mir keiner was tun
Gib mir Asyl hier im Paradies,
nur den Moment
um mich auszuruh'n
... “
Tamara Danz (1952 – 1996)

Spätestens 1983, als das Album „Mont Klamott“ erschien, avancierte die Berliner Band Silly zur wichtigsten Band im Osten Deutschlands. Bis heute gelten sie als Institution. Hunderttausende Albumverkäufe, Auszeichnungen wie Band, Album oder Sängerin des Jahres gehörten fortan zum Musikeralltag. Für den Erfolg gibt es einige Gründe, der wichtigste: ihre Sängerin Tamara Danz. Stimmgewaltig und authentisch, bewaffnet mit Charme, Intelligenz, aber auch mit einer ordentlichen Berliner Großschnauze. Wenn sie im Prenzlberg um die Blocks zog, folgte ein Kometenschweif von Fans und Freunden.

Schon früh zeichnete sich ab, dass aus dieser selbstbewussten jungen Dame was ganz besonderes werden könnte. Der Vater hatte was mit Außenhandel zu tun, ihre Kindheit verbrachte die kleine Tamara zum Teil in Bulgarien und Rumänien. Als es Ende der 60er Jahre im Ostblock rumorte, der Repression jedoch auch eine plötzliche Liberalisierung in Sachen Jugendkultur, Beat etc. folgte, stand sie vor dem Abi. Gemeinsam mit ihrem Lover Uwe Kropinski, der später der Jazzgitarrist im Osten wurde, bevor er auf die andere Seite der Mauer wechselte, sang sie in der Schülerband „Die Cropies“. Es ließ sich gut an, und bald wollte sie nichts anderes mehr machen.
Trotz einer Ablehnung an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ sang Tamara weiter in Bands, 1973 ging es dann schon in die Oberliga des sich etablierenden Ostrocks. Sie sang vier Jahre im Background der schwer angesagten Horst-Krüger-Band, deren „Tagesreise“ eines der schönsten 70er-Genre-Stücke überhaupt ist, vielleicht sogar das Schönste. Hier lernte sie jede Menge Kollegen kennen, denn diese Band funktionierte wie ein Durchlauferhitzer für spätere Stars.
1978 wurde Tamara das Gesicht der „Familie Silly“. Die frisch gegründete Band um Thomas Fritzsching (Gitarre) und Matthias Schramm (Bass) war erstklassig besetzt, aber musikalisch nicht leicht zu fassen. Da gab es freche Texte in der Schule der aufkommenden NDW, etliche groovige Funk- und Boogie-Songs. Und die ersten Erfolge: mit dem schlageresken „Gut´ Nacht Amigo“ gewannen sie beispielsweise 1981 die Bratislavska Lyra, das Ost-Pendant des Grand Prix Eurovision de la Chanson.
Silly mit ihrer Sängerin Tamara waren sich auch für keine Mugge zu schade. Zur Erinnerung: „Mugge“ kommt aus dem Ostdeutschen und ist ein Akronym für „Musikalisches Gelegenheitsgeschäft“. Gemeint waren vor allem Konzerte zum Tanz im Sommer, hauptsächlich in den Urlauberorten an der Ostsee – damit haben Ostrocker aus der zweiten und dritten Reihe ordentlich Kohle gemacht und das überteuerte Equipment finanziert. Silly waren da schon auf dem Sprung nach oben, und ihre Muggen fanden in den nobleren Bars der bulgarischen und rumänischen Schwarzmeerküste statt. Dort urlaubten gelegentlich auch preisbewusste Plattenbosse: Silly – das „Familie“ hatten sie gerade abgelegt – kehrten 1981 aus dem Bruderland mit einem richtigen Veröffentlichungsvertrag im Westen zurück. Da war der DDR-Monopolist AMIGA im Zugzwang und musste die erste Platte „Tanzt keiner Boogie“ auch im Ostelbischen veröffentlichen.

Kein schlechtes Material, was da abgeliefert wurde, die Songs waren zum großen Teil schon im Radio gelaufen. Stilistisch jedoch – vorsichtig formuliert – unentschlossen; Tamara war nie gut zu sprechen auf dieses Sammelsurium der bisherigen Findungs-Versuche, es hat zu ihren Lebzeiten trotz Nachfrage keine Neuauflage gegeben.
Während Tamara auf den Konzerten noch ziemlich sexy Boogie tanzte, war der Weg zu Silly 2.0 schon eingeleitet: Ritchie Barton, ehemals Magdeburg- und City-Musiker, stieg 1982 bei Silly ein. Der Keyboarder und Tamara waren auch privat ein Paar. Beide hatten lange gezögert, denn eine Beziehung innerhalb der Band galt schon damals als Tabu. Doch er brachte die entscheiden Impulse für die Bemühungen der Band, endlich zu einer musikalischen Erkennbarkeit zu kommen.
Resultat war das 1983 veröffentlichte Album „Mont Klamott“. Eine Klasse für sich, der Quantensprung für den Ostrock. Der schien seine Eigenständigkeit aus den Siebzigern gerade im schrillen Gewitter der Neuen Deutschen Welle verloren zu haben, doch mit „Mont Klamott“ wurden wieder starke Akzente gesetzt. Stimmige Kompositionen, komplexe Arrangements, eine Produktion auf Westniveau. Mit den Texten von Werner Karma hielt eine sensibel-wuchtige Lyrik Einzug, die den Weltall-Erde-Mensch-Kosmos der 70er ebenso hinter sich ließ wie den schrägen Gelegenheitsreim der NDW.
Dieses Album war von da ab der Maßstab im Osten, sein Niveau wurde nur von wenigen erreicht, übertroffen eigentlich nur von ihnen selbst. Sie setzten sich danach die Messlatte enorm hoch, hatten auch das Gefühl, dass gerade von ihnen bisher nicht Gehörtes erwartet wurde. Und rannten prompt gegen die Wand: Das Nachfolgealbum „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ fiel bei der Zensur durch, die schon gepresste Erstauflage wurde wieder eingeschmolzen. Doch sie bissen, Tamara vornweg, die Zähne zusammen, rangen mit unsichtbar geballten Fäusten um Kompromisse. Schließlich erschien das Album 1985 in geänderter Form unter dem Titel „Liebeswalzer“. Die Kids im Osten ahnten von den Querelen nichts, schwärmten von dem großen Rocksong „So ´ne kleine Frau“. Tamara Danz war spätestens jetzt unbestritten die Rocksängerin der DDR.

Flieg, flieg,
fahr aus der Haut
weit, weit raus ins Freie
flieg, flieg,
und eh der Morgen graut
wächst Dir 'ne nagelneue
... “
Zu dieser Zeit ging in der Biographie der Tamara Danz und der Band Silly ein weiterer Stern von enormer Leuchtkraft auf. Anfang 1986 startete in der DDR das Gitarreros-Projekt: Die besten vier Gitarristen des Landes mit exzellenter Begleitband sowie ausgewählten Sängern und Sängerinnen. Dabei Bernd Römer (Karat), Jürgen Ehle (Pankow), Gisbert „Pitti“ Piatkowski (NO55) und die damals schillerndste Gitarren-Persönlichkeit des Ländles: Uwe Hassbecker von Stern Meißen. Zwischen ihm und Tamara funkte es in der Garderobe. Eine Weile konnten sie das geheim halten. Doch Tamara, die Band und Privates weder trennen konnte noch wollte, hatte Großes vor. Silly sollte nicht nur die beste Band der DDR werden (das waren sie um diese Zeit fraglos), sie sollte auch auf jeder Position am besten besetzt sein: Hasbe musste in die Band.
Schwer zu sagen, was seinerzeit intern vorging, nach außen traten sie erst mal wenig in Erscheinung. Wie werden sie wohl umgegangen sein mit ihrem Dreiecksverhältnis? Woher nahm vor allem Ritchie die Kraft, nicht nur die Partnerin zu verlieren, sondern den Nachfolger an ihrer Seite auch noch in jener Band begrüßen zu müssen, deren Erfolg zum nicht geringem Teil auf sein Konto ging? Menschliche Größe haben alle drei bewiesen, sicher auch, weil sie spürten, dass sie zu dritt zu ganz Großem in der Lage sein würden.
„Februar“ hieß Anfang 1989 dann das folgende Album. Es wurde in Westberlin aufgenommen, erschien auf beiden Seiten der Mauer gleichzeitig. Es machte vor allem mit den Texten Furore. Tamara schrieb diese bis auf Ausnahmen selbst, mit Karma war sie nicht mehr klar gekommen – sie hatte einfach zu klare Vorstellungen, was sie singen wollte. Unterstützung kam vom singenden Braunkohlekumpel Gerhard „Gundi“ Gundermann aus Hoy(erswerda). Es entstanden Texte, die schonungslos die Realität in der agonierenden DDR aufgriffen – nur wenige Jahr vorher wäre das definitiv durch keine Zensur gekommen. Doch zu dieser Zeit hatte sich bereits lähmender Defätismus in den Amtsstuben breit gemacht. Die sich bald schon überschlagenden Ereignisse nahmen diesem Album aber auch die verdiente Wirkung. Was auf „Februar“ revolutionär klang, war sechs Monate später schon selbstverständlich.

Flut, bitte komm, Flut
kühl mich,
spül mir das Salz von der Haut.
Flut, bitte komm, Flut
nimm mich mit,
trag mich hier raus.
...“
Nach der Wende waren Silly wohl die einzigen, die sofort einen passabel dotierten Vertrag angeboten bekamen. Schon 1990 reiste man zu den Chefs der Ariola nach München – und war entsetzt über die fertige Marketingstrategie der Firma, wo man den leicht verdaulichen Textbrei, der Tamara fürsorglich zugedacht war, schon mal angerührt hatte. Die Sache wurde schnell abgebrochen. Die einen fluchten über die undankbaren Ossis, denen man doch nur in das Pop-Biz hatte helfen wollen, die anderen waren gefrustet, weil da ernsthaft jemand geglaubt hatte, er könne sie mit ein paar lausigen Scheinen kaufen und in der Einkaufstüte wegtragen.
Der Silly-Kern besann sich trotzig auf eigenes. Sie schraubten akribisch an ihrem bis dahin schönstem Album: „Hurensöhne“ erschien 1993 und enthält wunderbare Stücke wie Gundermanns „Fliegender Fisch“ oder die Sehnsuchtsballade „Bye bye“. Sicher gehörte das Album zu den besten deutschsprachigen in diesem Jahr. Doch es reichte nicht für die Charts: Der Westen übte sich weiter in freundlicher Ignoranz, die Ossis glaubten, anderes aufzuholen zu müssen. Silly aber spürten, wie sie sich die Herzen der Leute allmählich zurückeroberten. richteten am schönen Berliner Gendarmenmarkt ihr Danzmusik-Studio ein. Hier entstand das Folgealbum „Paradies“. Während der Aufnahmen erhielt Tamara die finale Diagnose Brustkrebs. Allein die Vorstellung, dass sie um diese Krankheit wusste, als sie das Titelstück „Asyl im Paradies“ einsang, macht dieses an sich schon wundervolle Lied zu einem der am tiefsten berührenden Popsongs deutscher Zunge, auf einer Ebene mit Herbert Grönemeyers „Mensch“. Das Album hat noch mehr Unsterbliches, etwa die Hammerballade „Instandbesetzt“ mit einer Gitarrenfigur für die Ewigkeit.
Die Platte erreichte dann tatsächlich die Charts. Doch dazu musste Tamara erst sterben. Ritchie und Hasbe begleiteten sie bis zum bitteren Schluss. Tamara Danz und Uwe Hassbecker haben noch geheiratet, fast schon auf ihrem Sterbebett. Am 22. Juli 1996, vor ziemlich genau 20 Jahren, erlag die Sängerin dem Krebs. Sie wurde gerade mal 43 Jahre alt. Ihr Grab ist in Münchehofe. Mittlerweile sind zwei Straßen nach ihr benannt, in Berlin und in der Nähe ihres Geburtsortes, im thüringischen Breitungen.

Uwe Hassbecker, Ritchie Barton und Jäckie Reznicek halten bis heute die Fahne hoch und haben die Band Silly zusammen mit ihrer neuen Sängerin Anna Loos zu neuen Ufern geführt. Tamara wäre sicher stolz gewesen.

Peter Matzke für SCHALL
www.schallmagazin.de